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1990 Umbruch im Norden
Der Rückzug von Philips aus dem Verteidigungsgeschäft bleibt für die deutschen Standorte nicht ohne Konsequenzen: Aus dem Unternehmensbereich Philips Systeme und Sondertechnik (PST) mit den Töchtern Radarleit und Elektro Spezial entsteht im März 1990 durch ein Management-Buy-out die unabhängige Deutsche System-Technik GmbH (DST). Mit den beiden bisherigen Sparten in Kiel und Bremen sowie verschiedenen Tochtergesellschaften und Beteiligungen bietet das Telematik-Systemhaus Lösungen auf den Gebieten Sensorik, Kommunikation, Optronik, Verkehrsleittechnik, Simulation, Umwelttechnik und Industrieautomation an. Neben dem übernommenen militärischen Portfolio soll vor allem das zivile Geschäft forciert werden.
Kurz darauf gründet die HSA unter dem Mutterkonzern Thomson-CSF als eigene Service-Gesellschaft die Hollandse Signaalapparaten GmbH in Wilhelmshaven. Die ambitioniert gestartete DST kann sich als junger Mittelständler hingegen am Markt nicht durchsetzen: Schon zum Jahreswechsel 1996/97 geht das Unternehmen in der HSA auf – die ehemaligen Philips-Töchter sind wieder vereint.
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1990 Aufbau Ost
Am 3. Oktober hört die Deutsche Demokratische Republik auf zu existieren, die Bundesrepublik wächst um fünf weitere Bundesländer. Die historische Zäsur hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Elektronik-Branche: Während die Verteidigungsbudgets sinken, tut sich für das Zivilgeschäft ein neuer Markt im Osten auf. Standard Elektrik Lorenz engagiert sich beim Aufbau des Telekommunikations- und Eisenbahnnetzes in den neuen Bundesländern und will den Export in die ehemaligen Ostblock-Staaten vorantreiben. Noch im Jahr der Einheit übernimmt sie die RFT-Betriebe Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin, Sternradio Rochlitz und Nachrichten-Elektronik Arnstadt. Sie werden in der neuen RFT SEL Nachrichtenelektronik GmbH zusammengeführt. Ein Jahr später folgt die Entwicklungsgesellschaft für Nachrichtentechnik mbH (EFN) in Berlin-Oberschöneweide. Doch der „Aufbau Ost“ gestaltet sich schwieriger als erwartet. Nur wenige Betriebe bleiben unter den Bedingungen des freien Marktes konkurrenzfähig. Auch SEL muss mehrere Standorte wieder schließen. Das Werk in Arnstadt wird mit erheblichen Investitionen und Umschulungsmaßnahmen ertüchtigt. Die künftige Struktur wird in den Jahren 1993–95 eingenommen: Die Berliner Produktion von Eisenbahnsignaltechnik zieht nach Arnstadt um, das RFT im Firmennamen entfällt.
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1992 Chips von den Fildern
Nachdem das Halbleitergeschäft von Thomson-CSF auf das französisch-italienische Joint Venture ST Microelectronics übergegangen war, haben 1988 sechs ehemalige Thomson-Mitarbeiter ein neues Unternehmen gegründet. Die Gemplus International konzentriert sich seither auf die Fertigung von Chipkarten, die Ende der 1980er als wenig gewinnträchtiges Nischenprodukt gelten. Nach der France Télécom kann auch die Deutsche Bundespost als Großkunde für Telefonkarten gewonnen werden, und schon 1992 eröffnet Gemplus die erste Auslandsniederlassung in Filderstadt bei Stuttgart. Mit dem Durchbruch der Mobiltelefonie verschwinden die öffentlichen Fernsprecher, und das Unternehmen stellt auf SIM-Karten um. Später folgen Bank- und Gesundheitskarten. Die 130 Mitarbeiter am Standort fertigen unter hohen Sicherheitsstandards zehntausende Karten – täglich. 2006 fusioniert Gemplus mit seinem bisherigen Wettbewerber Axalto. Die neue Gemalto N.V. wird in den Niederlanden eingetragen.
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1992 SEL verbindet
Anfang der 1990er Jahre treibt die SEL AG den Aufbau einer modernen Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur voran. Pünktlich zur Weltausstellung in Sevilla und den Olympischen Sommerspielen in Barcelona wird im April 1992 die Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke zwischen Madrid und Sevilla eröffnet. SEL zeichnet für die elektronischen Stellwerke und das Linienzugbeeinflussungssystem verantwortlich – für die Stuttgarter und ihre spanische Tochter SEL Señalización ein Leuchtturmprojekt.
Auf dem heimischen Telefoniemarkt ist man mit digitalen Vermittlungsanlagen und Lichtwellenleiter-Technik präsent. Im Juli 1992 nimmt die Bundespost den kommerziellen Betrieb des D1-Netzes im neuen, gesamteuropäischen Mobilfunkstandard GSM auf. Alcatel und ihre Tochterunternehmen waren an dessen Entwicklung maßgeblich beteiligt, im Sommer 1991 hat SEL die ersten Anlagen für den Probebetrieb an die Bundespost übergeben. Im Juli 1992 firmiert das Unternehmen offiziell zu Alcatel SEL AG um. Doch es stehen schwierige Zeiten bevor: Im Telefoniegeschäft fällt man hinter der Konkurrenz zurück, der erwartete Ausbau des Glasfasernetzes wird von der Bundespost nur schleppend betrieben, und das Exportvolumen nach Osteuropa wird die hochgesteckten Ziele nie erfüllen.
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1997 Europäische Neuordnung
Das Jahr 1997 bringt eine gravierende Neuordnung der europäischen Industrie in den Bereichen Verteidigungselektronik und Flugverkehrsmanagement. In Frankreich stoppt die neu gewählte sozialistische Regierung von Lionel Jospin den erst kürzlich eingeschlagenen Kurs zur Privatisierung von Staatsunternehmen – die geplante Übernahme von Thomson-CSF durch ausländische Bieter ist damit vom Tisch. Stattdessen wird eine strategische Allianz maßgeblicher französischer Unternehmen geschmiedet, um der internationalen Konkurrenz in Zeiten zurückgehender Rüstungsausgaben standzuhalten: Thomson-CSF, Alcatel, Aérospatiale und Dassault sollen ihre Kräfte bündeln. Thomson-CSF übernimmt die einschlägigen Geschäftsbereiche der Partner, darunter die Sparten Verteidigungselektronik und Air Navigation Systems der deutschen Alcatel-Tochter SEL. Mit der Vereinigung entsteht der größte Anbieter für Radar, militärische und Satellitenkommunikation in Europa.
Gleichzeitig scheitert der Versuch von Thomson-CSF, die zum Verkauf stehende Verteidigungssparte der Siemens AG zu übernehmen. Zur Zusammenarbeit kommt es dennoch: Für das zivile Air Traffic Management gründen beide Unternehmen das Joint Venture Airsys ATM. Siemens wird vier Jahre später seine Verkaufsoption ausüben und seinen 40-Prozent-Anteil an das nunmehrige Unternehmen Thales veräußern.
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